
Der Krebs
Figürliche Darstellung des Krebses
(Bild: Kosmos Verlag/Kay Elzner)
War der Krebs ursprünglich ein Esel oder gar ein Götterthron? Über den seltsamen Hintergrund eines eher unscheinbaren Sternbilds erzählt Susanne M. Hoffmann in ihrem Buch „Wie der Löwe an den Himmel kam“:
Der Krebs ist als Sternbild bereits im zweiten vorchristlichen Jahrtausend belegt, obwohl es in dieser Himmelsgegend nur schwache Sterne gibt und ein Tier darin schwer vorstellbar war und auch heute noch ist. Ein augenfälliger offener Sternhaufen glitzert jedoch in mondlosen Nächten unübersehbar: Er wird Praesepe (lat.: „Futterkrippe“) genannt und zu diesem Bild passen auch die Namen der beiden Sternchen neben dem Sternhaufen: nördlicher und südlicher Esel. Sowohl dieser Name für den Sternhaufen als auch für die ihn säumenden Sterne sind bereits antik belegt: Ptolemaios erwähnt diese Namen im Almagest-Sternkatalog, Aratos nennt sie und Eratosthenes präsentiert zwei völlig verschiedene, jeweils etwas an den Haaren herbeigezogene Geschichten dafür. Da wir wissen, dass das Sternbild Krebs aus Babylon übernommen wurde und mithin eine griechische Geschichte dafür erfunden werden musste, könnten die Sternsagen auf ein gewolltes Verschmelzen des babylonischen Bildes mit dem einer anderen Subkultur in Alexanders Großreich zu einem neuen griechischen Bild hindeuten. Es könnte aber auch sein, dass die Bezeichnung Esel aus einer Doppeldeutigkeit des ursprünglichen Keilschriftzeichens abgeleitet ist: Im Lauf der Zeit wurden die Schriftzeichen immer weiter vereinfacht und spätbabylonisch – also in griechischer Zeit – kann das Zeichen für „Krebs“ auch als „zehn“ und „Fuß“ gelesen werden, wobei das Zeichen für Fuß auch die Nebenbedeutung „Maulesel“ hatte. Diese Doppeldeutigkeit des Schriftzeichens könnte babylonische Gelehrten zu Wortspielen inspiriert oder ein griechisches Missverständnis verursacht haben.
Wenn diese Himmelsgegend ohne markantes Muster als Fuß(abdruck) bezeichnet wird, passt dies humorvoll zu dem griechischen Mythos, dass Herakles den Krebs zertreten haben soll. Die Nebenbedeutung Maulesel des Keilschriftzeichens kann möglicherweise erklären, warum das Sternbild von manchen als Krebs und von anderen (Maul)Esel verstanden wird. Allerdings würde man in Keilschrift entweder „der Krebs“ oder „zehn Maulesel“ lesen, weshalb die Bezeichnung der zwei Sterne als Esel gewiss eine nachträgliche Zuschreibung ist.
Die Esel sind jedenfalls kein babylonisches Sternbild. In MUL.APIN wird das Sternbild Krebs als Sitz des Gottes Anu bezeichnet. An(u) ist der sumerische und babylonische Gott des Himmels. Möglicherweise hatte er in der sumerischen Zeit sogar eine übergeordnete Rolle als oberster Gott. Sein Sitz ist das Viereck aus schwachen Sternen um den Sternhaufen Praesepe. Sumerische Götter wurden sitzend auf einem Viereck dargestellt, wobei der „Sitz“ im buchstäblichen Sinn einen Thron und – vielleicht absichtlich ambivalent – den Tempel des jeweiligen Gottes meint. Dass sich auf dem oder in dem Sitz des Himmelsgottes An(u) ein Sternhaufen befindet, ist jedenfalls sehr einleuchtend. Nicht ausgeschlossen, dass der Sitz des Anu das ursprünglichste Bild war, denn es braucht wenig Fantasie, sich hier ein Viereck vorzustellen.
In römischer Zeit wird in der Dichtung die Eselsbrücke gebaut, dass die Sterne Krebs heißen, da die Sonne ab dieser Position im Jahreslauf ihren Krebsgang –also rückwärts – antritt. Diese Referenz der unanschaulichen Figur auf die Sommersonnenwende ist eine späte Umdeutung zu didaktischen Zwecken und in der Mythologie nicht belegt. Dass die Sterne vom Krebs nur schwach leuchten und in der Dämmerung nicht beobachtet werden können, war ein Problem für die alten Kulturen, die anhand der heliakischen Aufgänge der Sterne ihren Kalender bestimmten. Für Mesopotamien gilt daher sehr wahrscheinlich, dass stattdessen der Aufgang des hellen Sterns Prokyon beobachtet wurde, denn dieser Stern geht gleichzeitig mit dem Krebs auf und kann sich in der Dämmerung durchsetzen.

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